Die Hölle des Stellungskrieges am 8. Januar 1915 im Argonnerwald
Manchmal ist es ein einzelner Name in alten Listen, der mir die ganze Tragödie des Ersten Weltkriegs vor Augen führt – und eine sehr persönliche Verbindung offenbart. Meine Reise zu Hubert Glatzels Geschichte begann nicht in einem Archiv, sondern an einem scheinbar friedlichen Ort: dem Forsthaus Beerenberg. Ohne diesen Ausgangspunkt wäre ich niemals auf seinen Namen gestoßen. Und vielleicht hat Hubert Glatzel, vermutlich um 1895 geboren, einst meine Großmutter als Kind im Arm gehalten. Der Gedanke lässt mich nicht los.
Um seinen unnötigen Tod nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, möchte ich mich heute diesem Namen widmen. Hubert Glatzel war ein einfacher Jäger der 2. Kompanie des Jäger-Bataillons Nr. 6, der am 8. Januar 1915 sein Leben im berüchtigten Argonnerwald verlor.
Dank eines detaillierten Berichts seines Bataillons können wir die Ereignisse nachvollziehen, die zu seinem Tod führten. Es ist ein Einblick in einen Tag, der für Tausende junger Männer in den Schützengräben zur letzten Prüfung wurde.
Das Jäger-Bataillon Nr. 6 und der Argonnerwald
Das Jäger-Bataillon Nr. 6, ein Teil der preußischen Armee und bekannt für seine Rolle als leichte Infanterie, war seit Ende 1914 in den zermürbenden Stellungskrieg an der Westfront verwickelt. Die Front im Argonnerwald – einem dichten, zerklüfteten Waldgebiet im Nordosten Frankreichs – war zu dieser Zeit eine der härtesten und unversöhnlichen Sektionen des gesamten Krieges. Hier gab es keine großen Schlachten im Sinne weitreichender Offensiven mehr, sondern einen ständigen, blutigen Kampf um Meter Gelände, um Gräben und um jeden noch so kleinen strategischen Vorteil. Minenkrieg, Handgranaten-Gefechte und gnadenloser Artilleriebeschuss prägten den Alltag.

Der 8. Januar 1915: Ein Tag der „gewöhnlichen Stellungskämpfe“
Der Bericht des Jäger-Bataillons Nr. 6 über diesen Tag beginnt mit der nüchternen Feststellung: „Gesamtlage: Beiderseits kleinere Vorstöße, sonst gewöhnlicher Stellungskampf.“ Doch hinter dieser scheinbar harmlosen Formulierung verbarg sich die Hölle auf Erden.
Um 7:30 Uhr morgens wurde die 2. Kompanie – Hubert Glatzels Einheit – in die Stellung der 3. Kompanie verlegt. Bald darauf begann ein massiver Angriff. Das Bataillon hatte den Auftrag, eine als „Festung“ bezeichnete, stark befestigte französische Stellung zu nehmen. Unterstützt wurden sie von Artillerie: Ab 8:30 Uhr warfen 10 Mörser, eine Haubitze und ein schwerer Minenwerfer ihre todbringende Fracht auf die feindlichen Stellungen.
Der Sturmangriff und die „Festung“
Um 10:00 Uhr vormittags stürmten die Jäger in Sturmkolonnen aus den Sappen (Annäherungsgräben) in den Angriff. Die Reihenfolge war festgelegt: 2., 3., 4. und 1. Kompanie.
Der erste Graben fiel schnell, und es wurden Gefangene gemacht. Doch der zweite Graben war „stark besetzt“ und wurde „lebhaft gefeuert“. Die Jäger stürmten „über offenes Gelände gegen diesen Graben an; was sich wehrt, wird niedergemacht; außerdem werden viele Gefangene eingebracht.“ Der Bericht beschreibt eine Szene erbitterten Nahkampfes und brutaler Entschlossenheit. Die französische Stellung erwies sich als komplexes System von bis zu sechs Gräben mit zahlreichen Verbindungsgräben dazwischen.
Trotz „heftigsten feindlichen Feuers“ wurden sämtliche Gräben in einem „ununterbrochenen Ansturm“ genommen. Teile des Bataillons drangen sogar in den „Meurisson-Grund“ vor. Doch die Verbindung zur eigenen Infanterie riss ab, und unter starkem Feuer mussten sich die Jäger auf eine Anhöhe nördlich des Meurisson-Grundes zurückziehen. Dort konnten sie eine neue Stellung aufbauen und sechs feindliche Gegenangriffe abwehren.
Der Erfolg und die Kosten
Der „Erfolg“ dieses blutigen Tages wird in Zahlen gemessen: Das Bataillon hatte rund 1200 Meter Gelände gewonnen und etwa 800 Gefangene gemacht. Das „Garibaldianer-Regiment“, das den Gegenangriff führte, erlitt schwere Verluste, und die Jäger erbeuteten Waffen, Munition und Ausrüstung.
Doch dieser „Erfolg“ hatte einen hohen Preis. Genau an diesem Tag, dem 8. Januar 1915, im Verlauf dieses erbitterten Angriffs im Argonnerwald, verlor Hubert Glatzel der 2. Kompanie sein Leben. Er war nur einer von vielen, deren Namen an diesem Tag in den Verlustlisten auftauchten.
Der Bericht erwähnt auch eine Führungsänderung an diesem Tag: „Für den verwundeten Lt. Frhr. Marschall v. Bachtenbrok übernimmt der bisherige Bataillons-Adjutant, Lt. Graf v. Pfeil, die Führung der 2. Komp.“ Dies zeigt, wie intensiv die Kämpfe waren und wie schnell Offiziere außer Gefecht gesetzt wurden.
Hubert Glatzels Geschichte ist die Geschichte von Tausenden Soldaten, die im Stellungskrieg unter oft unscheinbar klingenden Überschriften wie „gewöhnlicher Stellungskampf“ ihr Leben ließen. Sein Tod im Argonnerwald am 8. Januar 1915 ist ein Mahnmal für die Brutalität und die menschlichen Kosten eines Krieges, der die Welt für immer veränderte. Mögen wir uns an ihn und all die anderen erinnern, die in dieser Hölle ihr Leben ließen.